Vernissage am 30.03.2012 um 19:00 Uhr Geöffnet Samstag und Sonntag, sowie am Ostermontag von 11:00 bis 19:00Uhr. Eintritt frei. Felsen waren da und wesenlose Wälder, Brücken über Leeres und jener große graue blinde Teich, der über seinem fernen Grunde hing wie Regenhimmel über einer Landschaft. Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut, erschien des einen Weges blasser Streifen, wie eine lange Bleiche hingelegt. Und dieses einen Weges kamen sie. (Rainer Maria Rilke: Orpheus. Eurydike. Hermes, 2. Strophe) Zwischen Feldern aus Farbe, Höhen und Senken, Wogen und Wirbeln ziehen sich gerade Linien. Sie teilen die Landschaft, Furchen im Feld gleich, schlagen sichere Wege vor, denen sich das Auge bereitwillig hingibt, ihnen folgt. Auf geraden Pfaden, auf freien Linien, die sich sanft einander zuneigen, begibt sich der Blick auf Gratwanderung: Er müht sich auf der Leinwand hinauf, gleitet wieder hinab, gebannt durch die rhythmische Struktur im Chaos der Farbklänge. Die Bewegung bringt die Linien, die Saiten zu schwingen. Das Auge beginnt zu lauschen, das innere Ohr erwacht
Gerhard Hegemanns Bilder sind ein synästhetisches Erlebnis. Unmerklich kommt zum
visuellen Sinneseindruck das Hören hinzu. Die gleichzeitige Wahrnehmung von Farben
und Tönen geschieht bei der Betrachtung, der Kontemplation seiner großformatigen
Gemälde. Wie von weitem vernimmt das Ohr Töne, Melodien, die bezaubernden Klänge
von Orpheus Leier. Nach der mythologischen Gestalt des Orpheus, dessen Geschichte
Gerhard Hegemann zu einem seiner Bilder anregte, ist eine Richtung des Kubismus
benannt. Der Orphismus, 1913 durch den französischen Schriftsteller Guillaume
Apollinaire geprägt, suchte, der reinen Musik eine reine Malerei entgegenzusetzen,
aufgelöst in rhythmische Farbharmonie. Standen viele Künstler Anfang des 20. Jh.unter
dem Eindruck der aufsehenerregenden atonalen Musik von Arnold Schönberg, fanden
stets klassische Musikformen ihren Weg auf die Leinwand. Wassily Kandinskys ätherische
Studien, Robert Delaunays konzentrische Kompositionen in Primärfarben, Frantisek
Kupkas malerische Interpretationen der Fuge öffneten die Malerei für eine abstrakte
Umsetzung der Musik. Neben organischen, amorphen Formen setzte Kupka Geraden und
Linien ein, die zu tektonischen Konstrukten komponiert an Werke der russischen
Konstruktivisten erinnern.
Wie diese Künstler findet auch Gerhard Hegemann Inspiration in der Musik, besonders
die klassische Musik ist für sein Werk von großer Bedeutung. Aus ihr entwickelt er das
wesentliche Kompositionsprinzip seiner großformatigen Bilder. Die Linien, auf deren Weg
sich oft gleichfarbige Rechtecke zugesellen, erinnern Tasten eines Klaviers. Oder an
Orchesterpartituren: Jede Stimme bekommt ihren Einsatz, pausiert und schweigt bis zum
nächsten Einsatz. Bei der Fuge gibt die Leitstimme Thema und Takt vor, die anderen
Stimmen fallen nacheinander ein, spielen mit der Melodie und gehen letztlich auf in
vielstimmiger Harmonie. Der Pinsel wird zum Taktstock, Gerhard Hegemann zum
Dirigenten. Er gibt den Einsatz zu einer großartigen Aufführung aus Farbklängen.
Die Nähe der Musik zur Malerei, ihre wechselseitige Affinität, regte auch den
Komponisten und Architekten Iannis Xenakis an. Für das Kloster La Tourette in
Frankreich, von Le Corbusier entworfen, konzipierte er in den 1980er Jahren eine
Fassade aus so genannten »Pans de Verre Ondulatoires«. Die vertikalen Streben der
Fassade sind nach Intervallen angeordnet, die Xenakis, dessen Kompositionen auf
stochastischen Phänomenen basieren, ermittelt hatte.
Wie Xenakis die weite Glasfläche der Fassade rhythmisch strukturierte, so bändigt
Gerhard Hegemann die Fläche der Leinwand, die weiten Felder gestischer Malerei.
Manchmal ändern sich Vorzeichen und Titel, in seinen Gemälden tritt das menschliche
Dasein an sich an die Stelle der musikalischen Interpretationen. Auseinandersetzungen
mit den philosophischen Lehren Asiens führen zu ähnlichen Erkenntnissen und
Kompositionsschemata: Linien und Geraden in wirbelnden Farbfeldern. Musik und Mensch
bedürfen beide einer lebendigen Struktur, um zur Harmonie zu gelangen.
Dunkle, helle, graue Linien: Sie bilden einen formalen und farblichen Kontrast zu ihrer
Umgebung und geben der zweidimensionalen Leinwand eine irritierende Räumlichkeit.
Die opaken schwarzen Geraden treten zurück während die leuchtend weißen in den
Vordergrund drängen. Fast scheinen sie sich von der Leinwand zu lösen und sich
aufzustellen: Schlanke Stelen, die der Malerei eine weitere, die dritte Dimension
schenken. Sie tauchen immer wieder ins Gerhard Hegemanns Gemälden auf und
enthüllen seine künstlerischen Wurzeln. Bevor er sein Studium der Malerei an der
Wiesbadener Freien Kunstschule begann, machte er seine ersten künstlerischen Schritte
in einer Steinbildhauerei.
Katharina Hellwig M.A , Berlin
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